Habt ihr auch manchmal das Gefühl, dass ihr in eine Zeit zurückversetzt werdet, die ihr geglaubt habt, überwunden zu haben? Ich komme mir im Moment so vor: Wieder die Schulbank drücken – diesmal die Schulbank des Lebens.
Das meiste ist neu, alte „Antworten“ auf Routinen funktionieren nicht mehr, neue Fertigkeiten sind gefragt und das Wissen darüber hinkt hinterher. Dem eigenen Perfektionsanspruch wird einfach die Zunge gezeigt, und das Gefühl, „es geht alles vieeeel zu langsam“ will und will nicht verschwinden. Der Körper ist die neue Arbeit nicht gewohnt und protestiert (eigentlich bilden sich nur neue Muskel und Dehnung wäre jetzt gut ;-)), Müdigkeit des Geistes und des Fleisches.
Und die Liste an „To-Dos“ scheint nicht weniger zu werden.
OK – das ist die Ausgangslage. Ja, es gibt Zeiten, da versinke ich genüßlich in Selbstmitleid und bedauere mich herzhaft – diese Zeiten sind kurz und tun dem Ego gut. Aber hoppla – das ist ja mein selbstgewählter Weg! Und dann ist er wieder da, der Forscherdrang! Und das Neue ist ja soooo interessant.
Ja, ich habe ein kindliches Gemüt: Neugier, Unerschrockenheit, Ausprobieren wollen, Lösungen finden und Fehler als Lernmöglichkeit zu sehen und weiterzumachen. Quasi Prinzesschen plumpst auf den Popsch, steht auf, richtet sich das Krönchen und hat eine zerrissene Strumpfhose, aufgeschlagene Knie, lacht über das ganze Gesicht und läuft weiter.
Ich sehe mich wieder als das kleine Mädchen, das stundenlang mit Buntstiften ausgerüstet, Abermillionen von leeren Blättern vollkritzelte und irgendwann war das, was ich ausdrücken wollte, am Papier erkennbar und ich war sehr stolz. Ähnlich war das mit den Lego-Bausteinen und meinen Traumhäusern… selbstvergessen in Raum und Zeit mit voller Konzentration auf das kreative Schaffen.
Und genau da befinde ich mich wieder – Neues entdecken, in die Materie einlesen, abgleichen mit bereits vorhandenem Wissen (wundern, was ich weiß bzw. nicht weiß), mit Christian Lösungsansätze durchdiskutieren (mit dem Versuch, eine gemeinsame Sprache zu finden – jaja, auch nach über 20 Ehejahren durchaus eine Herausforderung ;-)) und Lösungswege entwickeln, diese durchführen, mit dem Ergebnis zufrieden sein oder – zurück zum Start.
Es macht riesig Spaß, wieder in dem kindlichen Erleben angekommen zu sein. Auch wieder Löcher in die Luft starren, Wolkenbilder erkennen, den Sternenhimmel ewig lang betrachten, den Wind mit allen Sinnen spüren (auch die Hitze ;-)) – und vertrauen darauf, dass alles richtig und gut ist.
Dabei entwickelt sich das Gehirn – die berühmte graue Substanz, die uns denken lässt, Lösungen und kreative Prozesse ermöglicht. Aus dem gewohnten Trott heraustreten, Alternativen zulassen und Querverbindungen knüpfen. Eine herrliche Demenzprophylaxe, die noch dazu dem Schiff nutzt und uns natürlich 🙂
Und Zeit lassen – das ist ein Rat, den wir von älteren erfahrenen Seeleuten immer öfter zu hören bekommen. „Lasst euch Zeit und genießt diese Reise, ihr werdet es später bedauern, wenn ihr überhastet Entscheidungen getroffen habt, Dinge, die ihr anders machen wolltet, nicht gemacht habt. Ihr habt Zeit, nutzt diese, indem ihr sie genießt und alles, was ihr wirklich wollt, tut!“. Schließt ab mit dem Alten, damit ihr euch auf das Neue voll und ganz einlassen könnt. – Puhhh! Leichter gesagt als getan, aber die wohlwollende Aufmunterung der Erfahrenen gibt und Zuversicht und Mut, Schritt für Schritt voranzugehen und sehr bewusst diese manchmal sehr kleinen Bewegungen zu würdigen. Wir erleben jetzt, wie Projekte fertiggestellt sind – plötzlich, fast unerwartet. Christian und ich sehen uns dann ganz verblüfft an „Was? Schon fertig?“. Mitten am Weg habe ich oft das Gefühl, das Ziel nicht mehr zu sehen – und wenn’s dann da ist: Verwunderung und Freude.
Auf der Reise sein ist etwas ganz Besonderes. Wir lernen neue Menschen aus der ganzen Welt kennen, verbringen Zeit in netten abendlichen Runden, diskutieren über das Leben, die verschiedenen Blickwinkel, die See, die sich bietenden Möglichkeiten und diesen Lebensstil.
Oh, und jetzt muss ich mich sputen, wir haben heute Gäste, die mit uns gemeinsam die Namensgebung unserer freespirit feiern und auf ein Gläschen Prosecco mit Snacks vorbeikommen.
Bis zum nächsten Mal!
Alles Liebe!
Jutta